Manche Künstler wählen ihre Themen. Anette Becker gehört zu denen, die von ihnen gewählt werden. Sie drängen sich auf, verlangen nach Antwort. Dass diese Antwort im Medium der Kunst gegeben wird, folgt gewiss einer persönlichen Disposition. Es verweist aber auch auf die einzigartigen Möglichkeiten, die dieses Medium bietet, und das gerade angesichts so schwieriger, belastender Themen, wie sie hier Gestalt annehmen.
Anette Becker begegnet diesen Themen mit einer besonderen Offenheit. Etwa wenn es um Schutzlosigkeit und Schutzbedürfnis geht. Dieses Spannungsverhältnis ist für jeden erfahrbar – in der eigenen Seele, in der Beziehung zum anderen Menschen, in den kollektiven Feldern, denen man angehört. Wird es aber intensiv und bewusst erlebt, kann es nicht einfach hingenommen werden. Man wird herausgefordert zu reagieren.
Im Atelier, 2003
Die Künstlerin tut dies in einer schöpferischen Initiative, die nicht Vermeidung oder Verschleierung bedeutet, sondern Selbstklärung. Das heißt, dass das persönliche Erleben fortgesetzt, vertieft und in seiner Essenz fasslich wird, um so schließlich einen Dialog mit denen aufzunehmen, die Ähnliches erfahren und Klärung suchen.
In diesem Dialog zeigen sich ihre Werke als offene, nicht-gegenständliche Reflexionsflächen, ohne sich in Abstraktion zu verflüchtigen. Sie stellen mitten ins Erleben hinein, auf eine sehr sinnliche, körperliche und räumliche Art, was die Wahl der Installation als bevorzugter Werkform erklärt. Die Künstlerin steht ihrem Werk nie gegenüber, sondern befindet sich – vor allem im Schaffensprozess selbst – immer mitten darin. Genau wie die, die mit ihren Arbeiten in Berührung kommen: Sie durchlaufen sie, sind eingeladen, sie nicht nur mit den Augen zu sehen, sondern sich frei in ihnen zu bewegen und sie mit Händen zu greifen.
Was so entsteht, sind keine Lösungs-, sondern Erfahrungsräume, die nur als Kunst vereinen können, was im Leben kaum gelingt: das maximale Ausgeliefertsein zu verbinden mit maximalem Schutz. So, wie etwa die Stimmen der eigenen Biographie oder des kollektiven Unbewussten in der Spiegelschrift zugleich wiedergegeben und verborgen werden. Und so, wie eine Wachsschicht zugleich Schutz vermittelt wie auch Durchlässigkeit.
Text von Janssen Peters
Aufbau der Installation „Unerlöst”, 2010
Vita
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