atelier · studio

Anette Becker greift in ihren Werken Erfahrungen auf, deren Wurzeln in Ereignisse zurückreichen, die die Exis­tenz­ erschüttern. Das kann der Verlust eines Menschen sein oder ein Angriff auf die eigene Unversehrtheit. Solche­ Ereignisse betreffen manchmal Einzelne und Gruppen gleichermaßen, etwa durch Krieg, Terror oder Naturkatastrophen. Ihre Arbeiten sind ein Angebot an den Betrachter, sich solchen Ereignissen in einem geschützten Raum anzunähern. In ihm können Gefühle und Stimmungen, aber auch Urteile und Wertungen, die Einzelne und Gruppen bewegen, bewusst erlebt werden und vielleicht – diesem öffnenden Impuls folgend – in eine unver­stellte, befriedende Wahrnehmung integriert werden.

Die Kunstprojekte von Anette Becker wenden sich zunächst an Menschen, die von den Themen selbst betroffen und bereit sind, sich ihnen zu stellen, darüber hinaus aber an alle, die sich ihnen öffnen und mit ihnen in Resonanz gehen. Jeder findet diesen Resonanzboden in sich, meist unter einer Schicht von Furcht oder Abwehr verborgen. Denn man muss nicht selbst eine existentielle Erschütterung, die bis zum Trauma reichen kann, erfahren haben, um mit ihrer verstörenden Macht in Berührung zu kommen. Jeder Mensch ist verletzlich und weiß, dass er zerstörerischen Kräften und dem damit verbundenen Schicksal ohnmächtig gegenüberstehen kann. In dieser Verletzlichkeit und Ohnmacht, aber auch in den Bemühungen, ihnen zu begegnen, sind alle Menschen unterschiedslos miteinander verbunden.

„Unerlöst” wurde erstmals in Dresden 2005 anlässlich des 60. Jahrestages der Zerstörung der Stadt ausgestellt. Hier hatte das Werk seine persönliche Verankerung. Beckers Intention war aber nicht, das Werk auf diesen historischen Raum zu beschränken. „Unerlöst” greift jede Form von Zerstörung auf, die von Menschen über Menschen gebracht wird. Die Erfahrungen, die Becker während der Dresdner Ausstellung machte, darunter vor allem ihre Gespräche mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs, ließen weitere Arbeiten entstehen, die – ergänzt um Abschied – eine thematisch geschlossene Werkgruppe bilden, die hier vorgestellt wird.

Unerlöst (2003/2004) – Die Wunden (2005) – Unter der Zeit (2004) – Abschied (2001/2004)

Diese Werkgruppe dient als Ensemble der Offenlegung seelischer Mechanismen, mit denen auf ein kollektiv traumatisierendes Ereignis reagiert wird: Schock und Fragmentierung, Verurteilung und Verdrängung, Ohnmacht und Wut, Resignation und das Bemühen, das Unfassbare doch zu fassen. Diesen Mechanismen gegenüber geht es um Mitgefühl und Verständnis, um ihre Anerkennung als seelische Prozesse, die das Weiterleben sichern. Dann aber – in zeitlichem Abstand – geht es auch um die Wahrnehmung derjenigen Kräfte, die dafür sorgen, dass nichts je vergessen wird und nichts je vorüber sein kann, bevor es nicht, oft erst von späteren Generationen, ans Licht gebracht ist und heilen darf.

project unresolved, 2003
project unresolved,2003
project unresolved, 2004
project unresolved, 2004
project unresolved,2004
Im Atelier, 2004 · in the studio, 2004
project unresolved, 2005
Im Atelier, 2004· in the studio, 2004
project unresolved, 2005
project unresolved, 2010
project unresolved, 2010