Einführung in die Installation „9/11 – Unerlöst” zur Ausstellung am 11. September 2010
Liebe Besucherinnen und liebe Besucher,
mein Name ist Anette Becker, ich bin Künstlerin und lebe in Deutschland. Ich möchte Sie herzlich zur Ausstellung meiner Installation mit dem Titel „Unerlöst” begrüßen. Ich freue mich, dass Sie da sind und Interesse für meine Arbeit und diese besondere Kunstform mitbringen.
In der Vorbereitung meiner Rede stellte ich mir die Frage, was interessiert Sie als Besucher der Ausstellung. Was kann ich Ihnen an die Hand geben, wenn Sie der Installation begegnen? Deshalb möchte ich Ihnen auch gar nicht so viel zu dem Thema der heutigen Ausstellung erzählen – es geht um den 11. September 2001. Die Ereignisse in New York und in Washington an diesem Tag und die Hintergründe dazu, soweit sie überhaupt bekannt sind, wissen Sie ja.
Was mich an diesem Thema interessiert, ist die Tatsache, dass an diesem Tag eine kollektive Traumatisierung stattgefunden hat, das ein Feld erzeugt.
Aber was ist so ein Feld? Nehmen Sie einen Menschen – einen Amerikaner, – nehmen Sie einen Menschen aus Sarajevo, – oder nehmen Sie einen Menschen, der die Bombadierung seiner Stadt erlebt hat – ich denke da an den Zweiten Weltkrieg – wenn Sie mit solchen Menschen ins Gespräch kommen, dann spüren Sie ganz schnell, dass alle, die das erlebt haben, sich in einem ganz ähnlichen Feld bewegen. Da spüren Sie etwas unerlöstes. Und das ist es, worum es hier geht.
Das Wichtige an einem Feld ist, dass es eine ganze Gruppe erfasst, also nicht nur die unmittelbar Betroffenen. Nein, es kann eine ganze Nation, eine ganze Volksgruppe und sogar nachkommende Generationen erfassen. Und so ist es ja auch bei mir gekommen, als ich in mir ein Feld gespürt habe – und zwar ebenfalls ein unerlöstes. Dabei ging es bei mir um den Zweiten Weltkrieg.
Ich glaubte damals, die Installation sei nun auf dieses Ereignis festgelegt, – den Zweiten Weltkrieg. Dann aber habe ich im Gespräch mit Amerikanern gemerkt, dass sie von der Installation plötzlich genauso stark ergriffen waren, wie die Menschen in Dresden, bei meiner Ausstellung zum 60. Jahrestag der Zerstörung Dresdens. Ich habe festgestellt, dass der historische Anlass nicht so wichtig ist für das Wirken der Installation. Aber in dem Augenblick, wo es um solche inneren Felder geht, die einen traumatischen Hintergrund haben, – das merken sie ja schon, wenn Sie sich hier umsehen – dass es ein ganz sensibler Bereich ist, weil es hier um die Grundtatsache der Verletzlichkeit unseres Lebens geht.
Ich möchte niemanden konfrontieren mit konkreten Bildern des Schreckens, deshalb ist die gewählte Form auch eher abstrakt. Die Installation gibt Raum um wahrzunehmen, wie man selber – unerlöst – an einem Feld teilhat. Und als ich das Feld, das in mir war, raus in die Welt gebracht habe. Da ist es in mir stiller geworden. Da habe ich es gesehen, dass es darauf ankommt, dass man es wahrnimmt wie es ist, dass es zum Menschen dazu gehört und zu mir gehört. Denn nur, wenn ich das uneingeschränkt akzeptieren kann, erst dann merke ich, wie sich da etwas in mir löst. Und wenn ich mich mit allen anderen Menschen darin verbunden weiß.
Während meiner Ausstellung in Dresden habe ich durch den direkten Kontakt mit einigen Augenzeugen des Feuersturms im Februar 1945 erfahren, dass es ein langer Weg ist, eine solche Traumatisierung zu verarbeiten. Da sind viele Schritte nötig, die jeder Einzelne, die aber auch das Kollektiv geht und ich erkannte, dass die Installation so noch nicht komplett war. Ich erschuf weitere Teile: „Unter der Zeit”, „Die Wunden” und „Abschied”. Diese Teile zeigen die Schritte – den Weg – den ein traumatisierter Mensch und eine traumatisierte Gesellschaft gehen, von der Notwendigkeit der kollektiven Verdrängung des Geschehenen und das erneute Hervortreten des Themas in späteren Generationen, bis hin zum ganz persönlichen Abschied nehmen von dem Verlorenen.
Wie können Sie der Installation nun am besten begegnen? Ich meine: – sehr gesammelt und in Stille – sehr behutsam und mit innerer Aufmerksamkeit. Wenn das vordergründige Interesse nicht der Installation gilt, sondern Ihnen selbst, – dass innere Bilder auftauchen dürfen, – dass Sie dem, was sich mitteilt, Raum geben. Wenn jemand diese Installation mit sich selbst verbinden kann, mit seinen eigenen unerlösten Themen, dann ist meine Kunst am Ziel.
Ihnen aber wünsche ich nun, wenn Sie Unerlöst erforschen, interessante Erfahrungen mit meiner Installation, aber vor allem interessante Erfahrungen mit sich selbst.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse.