Interview mit der Künstlerin
„Unerlöst” – wie kommen Sie zu ­diesem ­Thema?

Becker: Vor drei Jahren entstanden meine Stelen zur Installation „Be­zie­­hungs­feld”. Die­­se Instal­la­tion war ein Experiment. In ei­ner Art skulp­tu­raler Auf­­stel­lung sollte deutlich werden, in wie weit The­men über Generationen hinweg ­weiterge­­geben werden, z.­B.­ in Fami­­lien, aber auch in ­größeren Zusammenhängen, beispiels­­­­­­­weise gesell­schaft­lichen.

Wäh­rend der ­Be­­arbei­­tung der Ste­­len wurde ich mit dem Thema Zerstörung konfrontiert. Auch nach Fertigstellung der ­Instal­lation interessierte mich das The­ma wei­­terhin und ich plante weitere 49 Ste­len zu bau­en, die erst durch mich selbst auf­gebaut und dann ­zer­stört werden sollten.

Nach ein paar Wochen sah ich das bekannte Foto des zerstörten Dresden, mit der engelsgleichen Skulp­tur, die sich mit ­lie­be­voller Geste der Stadt ­zuwendet. Ich kann­te das Bild und trotz­dem nahm ich es völlig neu wahr. Ich sah durch den Blick des Engels liebevoll und verzeihlich auf die zerstörte Stadt. Das war ein Schlüsselerlebnis! Ich konnte die Verbindung zu meiner Arbeit sehen und ließ diesen veränder­ten Blick zum zentralen Ausgangs­­­punkt wer­den.

Die Installa­tion selbst und die Aus­ein­ander­set­zung mit dem Thema, sollte man aber nicht nur auf Dresden reduzieren. Sie be­trifft ebenso all die anderen ­zerstörten Städte überall auf der Welt. Sie behandelt nicht nur die Zeit des Zweiten Welt­­­­krieges, son­dern gilt für die Aufarbei­tung von Zeitgeschichte bis hin zur Gegen­­wart. Ich schaue auf den Menschen an sich, mit seinem Impuls zu zerstören, aber auch zu schaffen. Ich schaue nach dem, was er er­­­l­ei­det und auf das, was über Generationen hinweg weitergegeben wurde.

Was wollen Sie mit der Installation bewirken?

Becker: Ich möchte durch meine Auseinandersetzung da­zu beitra­gen, dass neu und nä­her hingesehen werden kann, dass alte ver­gra­bene Ge­füh­le an die Ober­fläche tre­ten können und dass sie von der Umgebung gesehen ­wer­den ­können. Denn nur was wahr­genom­men und (vor allem!) ge­achtet wird, kann im Unbewuss­­­ten ver­­­ge­hen, muss nicht in ver­packter Form wei­­­ter ge­schoben werden an nächs­­te Generationen.

Wahrscheinlich kann niemals alles gesehen und geachtet wer­­den. Die ­abstrakte Form soll helfen, all das NichtIdentifi­zier­­­ba­re stell­ver­tre­tend zu ­se­hen. Durch die Spiegel­schrift auf den ro­ten Tafeln z.B. versuche ich anzukop­peln an un­be­wuss­­tes Wissen, Weiter­­­gege­­be­nes, das ich do­ku­mentieren, aber nicht enthüllen will – des­­wegen die ab­strakte Darstel­lungs­­weise. Mei­ne Hoff­nung ist, unerlöste Gefühle ans Licht zu führen und sie einer heilsamen Betrachtung zu öffnen.

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