Interview mit der Künstlerin
14 Tafeln trennen den Raum in zwei Hälften – die dunkle und die ­helle Seite. Was bedeutet diese Gegenüberstellung?

Becker: Abschied ist ein Prozess, der je nach Anlass und Bedeutung unterschiedlich verläuft. Manch­­mal wer­den viele Schritte benötigt, um den Abschieds­­prozess komplett zu durchlaufen, in manchen Fällen wenige. In dieser Ar­beit sind ­insgesamt sieben Schrit­te vollzogen worden. Die Installation ist ja ein künstlerisches Werk, das den Raum mit einbezieht und ihm eine ­sym­bolische Bedeutung ­zukommen lassen kann. In diesem ­Falle ist es der Raum, in dem der Ab­schieds­­prozess ab­läuft. Nur, wenn er komplett durchschritten ist, kann man ihn ver­­lassen und in andere Räume ge­hen, in denen dann wieder an­de­re Prozesse stattfinden werden. Die beiden Seiten die entstanden sind – die dunk­len Tafeln auf der einen Seite und die hellen auf der anderen – zeigen das innere Zwie­ge­spräch.

Es gibt die eine Seite, die dunkle, die trauernde, die festhalten will, die nicht wei­tergehen möchte, die das Ge­sche­hene nicht ak­zep­tie­ren kann. Die andere Seite, die helle, ist nicht unbedingt von Anbeginn da. Aber sie wird irgendwann vernommen und dann be­ginnt der ei­gent­liche Prozess des Abschiednehmens und der des Ab­schied­­ge­bens. Nur die Be­trach­tung und Würdigung dieser beiden Anteile führen am Ende dazu, dass ein Ab­schied wirklich vollzogen werden kann.

Die Tafeln sind wieder mit Schrift­zeichen be­deckt. ­Welche Texte ent­hal­ten sie?

Becker: Ich begann mit den schwarzen Tafeln. Die helle Seite hatte ich da­mals noch nicht bemerkt. Ich schrieb meine Gefühle und Ge­danken nieder, in der Hoffnung etwas los werden zu können und im Prozess voran zu kommen. ­Jedoch solange ich aus­schließ­lich die schwarzen Tafeln schrieb, verharrte ich auf ­dieser Seite, mit den Gefühlen der ab­soluten Trauer und der Stag­­na­tion. Es gab keine Hoff­nung und kein Weitergehen.

Plötzlich vernahm ich die Kraft der ge­gen­über­lie­gen­den Seite. Ich be­gab mich dorthin und be­schrieb die Tafeln von dieser Position aus. Und es ­meldete sich das Gegen­über, das Ver­lo­re­ne, das Antwort gebende.

Es entstand ein Zwiegespräch. Ich be­schrieb die Tafeln ab­­­wechselnd und konnte so in eine Kommunikation ge­hen, die beide Seiten glei­cher­maßen zu Wort kommen ließ. Ab diesem Zeitpunkt begann das Vorwärtsgehen. Was ­vorher un­veränder­lich er­schien, täglich gleich, ohne Weiterentwicklung und auch ohne Trost, konnte sich an die richtige Stelle wenden, hatte ein Gegenüber, das gemeint war ... es be­gann eine Aus­einandersetzung, die sehr spannend, traurig und stark emotio­nal war. Am Ende war al­les ge­sagt und alles vernommen. Jede Seite konnte ge­wür­digt werden.

Sie beschreiben den Weg als Prozess des Ab­schiedes. Wo en­det dieser ­Prozess?

Becker: Es ist das Erlebnis, wenn man an jeder Tafel vorbei läuft und dabei den Inhalt der Tafeln irgendwie spürt und am Ende der Reihe – am Ende des Raumes – sich um­dreht und endlich beide Seiten über­blicken kann. Das ist ein sehr aussöhnendes Gefühl, denn es ist ins Gleichgewicht gekommen, was unausgeglichen war. Jede Seite hat ihre Berechtigung und jede Seite bedeutet Wahrheit. Das Gehen und das Zurückbleiben, das Gehenlassen wie auch das Zurücklassen, wenn man beide Seiten gegeneinander sieht. Im Miteinander bedeuten sie­ viel­ mehr: Abschied nehmen und Abschied ­­geben – das ist der Prozess, der auf beiden Seiten zu finden ist.

Die hellen Tafeln wurden am Ende noch mit einer Wachs­schicht überzogen, der ­Inhalt dadurch symbolisch geschützt. Die Tafeln wirken daher zurückgezogen, irgend­­wie nicht ganz irdisch, da das Wachs den Effekt hat, dass die Oberflächenstruktur fast keinen Schatten mehr wirft. Die Oberfläche hat sich durch die Wachsschicht in eine glatte Fläche verwandelt, die der Hand beim Befühlen der Tafeln sehr schmeichelt. Im Gegensatz dazu die dunk­len Tafeln, die eher rau und aufgeworfen wirken.

Was macht die Installation „Abschied” Ihrer Meinung nach für den Betrachter bedeutsam?

Becker: Letztlich knüpft jeder, der sich auf diese In­stal­la­tion einlässt, an seinen eigenen ­Inhalten an. Deshalb ist es auch von Vorteil, dass die Schrift nicht mehr lesbar ist. Die ab­strakte Form lässt al­les offen und da­mit kann ein ganz persönli­cher in­nerer Prozess ­an­ge­stoßen wer­den, der für jeden bedeutsam sein kann.

Dauerausstellung seit 2004 · permanent exhibition since 2004